Im Zuge der Energiewende kommt ländlichen Regionen eine besondere Rolle zu. Sie bieten das größte Potenzial für den Ausbau erneuerbarer Energien, da sie über den Hauptteil der Flächen für den Bau von Windrädern, Solar- und Photovoltaikanlagen verfügen. Allerdings stoßen diese Veränderungen auf Widerstand. Landschaftsveränderungen und der Eindruck, dass Gewinne aus der Energieproduktion nicht in der Region bleiben, sondern an überregionale Akteure fließen, sorgen für Skepsis in der Bevölkerung.[1] Bürgerenergiegesellschaften[2] setzen hier an und bieten eine innovative Möglichkeit, diese Spannungen zu entschärfen. Sie verknüpfen Klimaschutz mit regionaler Wertschöpfung und sozialer Teilhabe und ermöglichen der lokalen Bevölkerung, die Energiewende aktiv mitzugestalten.
Bürgerenergiegesellschaften sind im Jahr 2024 zwar weder eine neuartige Erscheinung noch ausschließlich ein Phänomen ländlicher Räume,[3] doch haben sie heute eine zentrale Rolle als treibende Kraft der Energiewende inne – eine Bedeutung, die auch die Europäische Union und der Bund erkannt haben und mit rechtlicher Rahmensetzung und Förderung unterstützen.[4] Dieser Beitrag aus der Reihe „Was gibt’s Neues auf dem Land?“ wirft einen Blick auf das Modell der Bürgerenergiegenossenschaft (BEG), die am weitesten verbreitete Form der Bürgerenergiegesellschaft. BEGs nutzen das traditionsreiche genossenschaftliche Modell, um Kapital einzusammeln, mit dem Anlagen für lokale Energieerzeugung finanziert werden. Dies sind zumeist kleinere oder größere Photovoltaikanlagen, deutlich seltener Windräder oder eigene Strom- und Nahwärmenetze.[5] Die Investitionssummen können dabei in Millionenhöhe liegen. Das Kapital wird in der Regel von den Mitgliedern der Genossenschaft aufgebracht, die je nach Genossenschaft ab einer Einlage von hundert bis tausend Euro dabei sein können. Die genossenschaftliche Struktur ist demokratisch organisiert: Jedes Mitglied hat unabhängig von der Höhe seines Kapitaleinsatzes eine Stimme und wählt damit den Aufsichtsrat der Genossenschaft, der wiederum den Vorstand bestellt. Der Vorstand leitet die Geschäfte der Genossenschaft, entscheidet also z. B. über die Projekte, die umgesetzt werden sollen. Die erzeugte Energie wird entweder selbst genutzt oder selbst vermarktet, oder in vielen Fällen auch gegen die gesetzlich festgelegte Vergütung in das allgemeine Stromnetz eingespeist. Falls Gewinne erwirtschaftet werden, werden sie neu investiert bzw. fließen an die Genossen:innen zurück.
Mehr Klimaschutz und regionale Autonomie
Hauptanliegen vieler BEGs ist es, einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Angestrebt wird der Aufbau eines dezentralen Energiesystems, damit ein immer größerer Anteil des produzierten Stroms aus erneuerbaren Quellen kommt und lokal verteilt wird. Dieses gemeinwohlorientierte Ziel können die BEGs gerade deshalb effektiv verfolgen, weil sie gleichzeitig auf lokale Bedarfe eingehen. Denn wie bereits oben erwähnt, kommen genau dort, wo das größte Potential für erneuerbare Energien liegt, auch die negativen Aspekte der Energiewende am stärksten zum Tragen, insb. die Optik (technische Anlagen als Fremdkörper im Landschaftsbild) und der Verlust an Anbauflächen. Wenn nun aber die Landbevölkerung auch mehr an den Vorteilen partizipieren kann, so der Gedanke der BEGs, wird sie den Ausbau erneuerbarer Energien auch stärker befürworten. Hier liegt ein Unterschied zur Aktivität großer Energieversorger, die erneuerbare Energien längst ebenfalls als Geschäftszweig entdeckt haben. Die von ihnen erzielten Gewinne bleiben großenteils nicht in der Region (wenn man von der Pacht absieht, die Kommunen und anderen Grundstückseignern gezahlt wird). Neben wirtschaftlichen Vorteilen geht es den BEGs aber auch um Beteiligung an der Gestaltung. Die lokale Bevölkerung kann mit ihnen die Veränderungen in ihrem Umfeld besser beeinflussen, als wenn alles über ein Planungsbüro läuft, das in einer entfernt liegenden Großstadt sitzt und für einen ebenfalls ortsfremden Stromkonzern tätig ist.
BEGs stärken also die regionale Autonomie im mehrfachen Sinne: Eine selbstbestimmtere Landschaftsgestaltung, die Verringerung von Kapitalabfluss, sei es aus lokalen Erträgen erneuerbarer Energieproduktion oder für den Einkauf fossiler Energieträger. Vielmehr soll durch den Verkauf von Strom Kapital in die Region fließen. Je dezentraler die Energieerzeugung, desto unabhängiger ist die Region zudem von den globalen Märkten für Öl und Gas (Versorgungssicherheit).
Wer wirkt (nicht) mit?
Während die größeren und ertragreicheren Bürgerenergiegenossenschaften ihren Vorstand mit hauptamtlichen Beschäftigten besetzen können, basieren viele kleine und jüngere BEGs auf der ehrenamtlichen Arbeit lokaler Aktiver. Dies impliziert, dass von Freiwilligen viel finanzielle Verantwortung und Risiko getragen wird. Personen im Vorstand verwalten Geld, das ihnen von Bürger:innen aus der Region vertrauensvoll zur Verfügung gestellt wird. Um diese Mittel gut zu verwenden, müssen sie sich in ihrer Freizeit mit komplexen technischen und organisationalen Fragen auseinandersetzen und unternehmerische Entscheidungen treffen. Wenn ihnen dabei mangelnde Sorgfalt nachgewiesen werden kann, gehen sie für entstandene Schäden letztlich persönlich in Haftung, auch wenn das Ehrenamt als eine Art mildernder Umstand gewertet werden kann.[6] Gerade bei größeren Projekten kommen ehrenamtlich geführte Genossenschaften schnell an die eigenen Grenzen.
Die Personen, die die in unserer Forschung betrachteten BEGs aktiv tragen, stammen in der Regel aus der Region oder sind zugezogen. Auch die größere Gruppe der Genoss:innen, die Anteile halten, kommt überwiegend aus der Region. Es gibt jedoch auch Mitglieder von außerhalb, die häufig familiäre oder anderweitige persönliche Bezüge zur Region haben. Ein Blick auf die sozialstrukturelle Zusammensetzung von BEGs zeigt, dass diese häufig einen hohen Anteil an Älteren, von Männern und von Besserverdienenden aufweisen, die eine gewisse Geldsumme längerfristig entbehren können.[7] Denn während sich vor einigen Jahren durch die hohe Einspeisevergütung für erneuerbare Energien noch verlässliche Renditen erzielen ließen, ist heute zunehmend der Idealismus der Einleger:innen gefordert: Oft gibt es über längere Zeiträume keine Rendite auf die Einlagen.
Die genossenschaftliche Struktur bietet zwar Möglichkeiten zur Selbstermächtigung und gemeinschaftlichen Organisation, ist jedoch kein Garant für soziale Ausgewogenheit. Der Umstand, dass der Zugang zu Energiegenossenschaften von privaten Ressourcen (Geldeinlage) abhängig ist, wirft in wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten die Frage auf, wie integrativ BEGs tatsächlich sind. Gerade dann, wenn sich eine Mitgliedschaft nicht unmittelbar monetär lohnt, liegt eine ökonomische Exklusivität vor (man muss Geld tatsächlich übrighaben). Eine Forschungshypothese wäre, dass je weniger rentierlich Mitgliedschaften sind, desto homogener der Teilnehmerkreis in Werten und Weltanschauung ist (da nicht-monetäre Motive zur Beteiligung mehr Gewicht erhalten). Dies ist unter der Prämisse ungünstig, dass die Energiewende eine Angelegenheit ist, die von der gesamten Bevölkerung getragen werden sollte. Daher bleibt die Förderung und Weiterentwicklung inklusiver Rahmenbedingungen, wie z.B. die Möglichkeit, Geschäftsanteile durch die jährliche Rückvergütung schrittweise aufzubauen,[8] eine wichtige Zukunftsaufgabe. Was die Überrepräsentanz von Männern, Älteren und Akademiker:innen angeht, mangelt es BEGs z. T. noch an effektiven Strategien, unterrepräsentierte Gruppen anzusprechen.
Komplizierte Kooperationen
Um erfolgreich zu sein, müssen BEGs mit lokalen Akteuren auch jenseits der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Ein guter Kontakt mit der lokalen Verwaltung eröffnet neue Entwicklungsmöglichkeiten, weil die Kommunen am ehesten über die notwendigen Flächen verfügen, auf denen BEGs neue Anlagen errichten können. Dies kann eine Freifläche für ein Windrad oder einen Solarpark sein, oder das Dach eines öffentlichen Gebäudes, z. B. einer Schule, Sporthalle oder Feuerwache. Je nach den beteiligten Personen muss die Lokalpolitik für Energie aus Bürgerhand erst gewonnen werden. Im Bereich der erneuerbaren Energien agieren auch Unternehmen wie Energieversorger und Projektentwickler (sogenannte „Projektierer“), die häufig bereits langjährige Kooperationsbeziehungen zur öffentlichen Verwaltung unterhalten und denen in diesen Prozessen teilweise mehr zugetraut wird. Das Planen, Genehmigen und Installieren von Anlagen erfordert nicht nur finanzielles Kapital, sondern auch spezialisiertes Wissen und Fähigkeiten, die die meisten Bürger:innen nicht mitbringen und sich erst aneignen müssen. BEGs machen in der Kooperation mit privatwirtschaftlichen Akteuren heterogene Erfahrungen: Während sie in einigen Fällen als konstruktiv beschrieben werden, gibt es auch Berichte über Spannungen. Angesichts der zunehmend knappen Flächen für Energieerzeugung besteht im Prinzip eine Konkurrenz. Die Kooperation mit der BEG ist in manchen Fällen eine strategische Wahl von Unternehmen, um lokal Fuß fassen zu können, zieht aber nicht immer eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe nach sich. Das Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft, Verwaltung und Wirtschaft ist also im Bereich der erneuerbaren Energien ein kompliziertes, teils spannungsreiches Dreiecksverhältnis.
Bürgerenergiegenossenschaften sind weit mehr als reine Energieproduzenten oder Investitionsmöglichkeiten. Abhängig von ihrer Zielsetzung und der Zusammensetzung ihrer Mitglieder können sie sich zu Sozialen Orten entwickeln, die wirtschaftliche, ökologische und soziale Innovationen vereinen. Ihre gemeinschaftsfördernde Wirkung hängt entscheidend davon ab, inwieweit es gelingt, inklusive Ansätze zu stärken und ihren kommunalen Wirkungsraum langfristig zu erhalten.
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[1] Kerker, Nina (2022): Stadt-Land-Disparitäten in der Energiewende – ein sozialer Konflikt (der Zukunft)? In: Umkämpfte Zukünfte. Beiträge zum Verhältnis von Demokratie, Nachhaltigkeit und Konflikt, Hrsg. Julia Zilles, Emily Drewing, und Julia Janik, Bielefeld: transcript.
[2] Vgl. https://erneuerbare-energie-gemeinschaften.de/legislations/buergerenergiegesellschaft-beg/, zuletzt aufgerufen 2025-01-14.
[3] Müller, Jakob R./Holstenkamp, Lars (2015): Zum Stand von Energiegenossenschaften in Deutschland. Aktualisierter Überblick über Zahlen und Entwicklungen zum 31.12.2014. Arbeitspapiere Wirtschaft & Recht 20. Lüneburg: Leuphana Universität.
[4] Vgl. https://www.energiewechsel.de/KAENEF/Redaktion/DE/Module/Fragenmodul/Startseite/Frage-09/antwort3.html, zuletzt aufgerufen 2025-01-14.
[5] Kahla, Franziska/Holstenkamp, Lars/Müller, Jakob R./Degenhart, Heinrich (2017): Entwicklung und Stand von Bürgerenergiegesellschaften und Energiegenossenschaften in Deutschland. Arbeitspapierreihe Wirtschaft & Recht 27. Lüneburg: Leuphana Universität. Online verfügbar unter: http://fox.leuphana.de/portal/files/15393083/wpbl27_BEG_Stand_Entwicklungen.pdf. Zuletzt aufgerufen 2025-01-14.
[6] Vgl. https://genossenschaften.de/de/organe-einer-genossenschaft/, zuletzt aufgerufen 2025-01-15.
[7] Diese häufig so bestehende Zusammensetzung und auch der hohe Anteil von Akademiker:innen wird in der Forschung bereits diskutiert. Vgl. Drewing, Emily, und Sabrina Glanz. 2021. „Die Energiewende als Werk ausgewählter Gemeinschaften?“ In Energiewende und Megatrends Wechselwirkungen von globaler Gesellschaftsentwicklung und Nachhaltigkeit, Edition Politik, transcript Verlag.
[8] Vgl. https://www.eg-wittmund.de/, zuletzt aufgerufen 2025-01-14.
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