Foto von Maxence Pira
Dieser Beitrag aus der Reihe Was gibt’s Neues auf dem Land? blickt auf den Bereich Mobilität. In den letzten Jahren hat sich durch die Digitalisierung die gesellschaftliche Teilhabe im ländlichen Raum in manchen Bereichen zwar verbessert, insbesondere durch Online-Shopping und die Möglichkeit zur Nutzung von Homeoffice.[1] Für einige Bedarfe sind Landbewohner:innen dennoch immer mehr darauf angewiesen, regionale Zentren erreichen zu können und manche Anliegen lassen sich gar nur in Großstädten erledigen (z. B. Flughafen, Fachärzte). Während ländliche Kleinstädte noch über ein relativ differenziertes Angebot der Daseinsvorsorge verfügen, ist es auf dem Dorf durch Schließung von Geschäften, Arzt- und Hebammenpraxen, (Bank-)Filialen und Schulen usw. immer schwieriger geworden, den Alltag zu bestreiten. Der ÖPNV ist zumeist längst nicht (mehr) ausreichend, um zu den gewünschten Reisezeiten hin und wieder zurück zu gelangen.[2]
Als Lösung bleibt dann nur das Auto. Eine Mehrheit der ländlichen Haushalte besitzen eines oder gar mehrere. Die Auto-Nutzung, ob für kurze oder lange Strecken, ist stark in Routinen und Denkweisen verankert. Dies wirft ein ökologisches Problem auf: Der Individualverkehr ist energieintensiv und zudem schadstoffreich, besonders deshalb, weil die meisten PKWs noch Verbrennungsmotoren haben. Auch die Autos selbst sind ein Problem für die Umwelt, da sie aufgrund ihrer begrenzten Lebensdauer regelmäßig ersetzt werden müssen und die verbauten Rohstoffe nicht voll wiederverwendet werden können. Zur Produktion neuer Autos muss zudem eine große Menge an Energie eingesetzt werden. Ein zusätzliches Problem ist, dass sich zwar viele, aber nicht alle Landbewohner:innen ein eigenes Auto leisten können. Auch sind nicht alle in der Lage, selbst ein Auto zu steuern. Besonders Jugendliche und alte Menschen können auf dem Dorf von den Möglichkeiten der Außenwelt „abgeschnitten“ sein.
Ländliche Mobilitäts-Initiativen
Diese Probleme versuchen ländliche Mobilitäts-Initiativen anzugehen. In manchen Orten sind in den letzten Jahren Mitfahrbänke installiert worden und es haben sich Car-Sharing-Initiativen gegründet. Car-Sharing-Initiativen verfolgen gleichzeitig auf lokale Bedarfe und auf das Gemeinwohl ausgerichtete Ziele: Durch Reduzierung der Zahl an Automobilen im Dorf wollen sie einen Beitrag zur Ressourcenschonung leisten und mithilfe von E-Mobilität gegen den Klimawandel wirken. Gleichzeitig soll eine Verbesserung der Mobilität der Anwohnenden erreicht werden: Mobilitätseingeschränkte sollen ihre Bedarfe besser decken können, nicht nur für im engeren Sinne notwendige Fahrten, sondern auch in Bezug auf Freizeitaktivitäten, die soziale Teilhabe schaffen. Mobilitätsmöglichkeiten sollen nebenbei dazu führen, dass das Leben im Ort attraktiver wird bzw. (für Menschen ohne Auto) überhaupt möglich bleibt. Die Initiative zielt also auch auf die Bevölkerungsentwicklung des Dorfes. Auch soziale Ziele wie die Förderung des sozialen Zusammenhalts werden von einzelnen bürgerschaftlichen Mobilitäts-Initiativen genannt.
Notwendige Elemente lokaler Car-Sharing-Ansätze sind die Anschaffung eines oder mehrerer Autos (per Kauf oder Leasing), ein Stellplatz,[3] bei E-Autos die Installation einer mit Starkstrom versorgten Ladestadion (Wallbox),[4] die Etablierung einer (optimalerweise digitalen) Lösung für das Buchungsmanagement (hier sind verschiedenen Softwarelösungen auf dem Markt), die Setzung eines Rechtsrahmens für die Nutzung einschließlich einer Gebührenordnung, sowie der Abschluss von Versicherungsverträgen.
Ein zusätzliches Element, über das mache E-Car-Sharing-Initiativen verfügen, ist die Koppelung mit eigener Stromerzeugung per Photovoltaik oder Windenergie, oder beidem (Dörpsmobil Klixbüll). Im sozialen Sinne innovativ ist hingegen die Koppelung von Autoverleih mit ehrenamtlichem Fahrdienst: Nutzer:innen, die nicht selbst ein Fahrzeug lenken können, wird ein:e ehrenamtliche:r Fahrer:in zur Verfügung gestellt. Die Ehrenamtler:innen fahren in ihrer Freizeit, je nach Initiative ganz umsonst oder gegen eine geringe Aufwandsentschädigung. Hier handelt es sich um ein solidarisches Element, das auch zu Kommunikation zwischen Generationen von Dorfbewohner:innen führt. Gleiches gilt, wenn Car-Sharing-Vereine etwa Ausflüge zu Kulturevents organisieren.
Viel intersektorale Kooperation
Während in Großstädten die Möglichkeit eines rentablen Betriebs auch kommerzielle Anbieter in den Bereich Car-Sharing zieht, kommen im ländlichen Raum eher die Politik und die Zivilgesellschaft als Initiatoren infrage. Betreiber sind z. B. Energiegenossenschaften (z. B. ENGO, REALWeg) oder Vereine (Dorfstromer e.V., Mobiles Eisdorf) bzw. wirtschaftliche Betriebe gemeinnütziger Vereine (Dorfmobil Barsikow). Es ist angesichts der hohen Anschaffungskosten nicht überraschend, dass die öffentliche Hand auch hier meist mit Anschubfinanzierung involviert ist. In den letzten Jahren schrieben Regionen in Deutschland Wettbewerbe aus, bei denen sich lokale Initiativen mit einem von ihnen ausgearbeiteten Konzept um Förderung bewerben konnten. In Schleswig-Holstein wurde gar eine landesweite Koordinierungsstelle eingerichtet, die interessierte Gemeinden, Vereine und Initiativen informiert und sie „bei Planung, Aufbau und Betrieb von Dorf-Gemeinschaftsautos“ unterstützt. Sie veranstaltet u. a. Netzwerktreffen für Trägervereine und stellt Förderung für ein digitales Buchungssystem bereit. Im Rhein-Hunsrück-Kreis wurden vonseiten des Landkreises mehreren Gemeinden E-Autos ein Jahr lang zur Verfügung gestellt und später von den Gemeinden weiter finanziert und z. T. verstetigt (link). Der Betrieb wurde von ehrenamtlichen „Kümmerern“ vor Ort unterstützt, die Interessieren die Abläufe nahebrachten. In der Region Harz ist ein bundesländerübergreifender Regionalverband aktiv, der zur Regionalförderung u. a. Car-Sharing anbietet (Einharz).[5] Car-Sharing ist, verglichen mit anderen Typen innovativer Initiativen auf dem Land, ein Feld reger intersektoraler Zusammenarbeit.[6]
Ein Car-Sharing-Boom? Stadt-Land-Unterschiede
Laut Informationen des Bundesverbands CarSharing ist die geteilte PKW-Nutzung in Deutschland stark im Aufwind. Der Bestand an Fahrzeugen und die Zahl der Menschen, die als Nutzer:innen angemeldet sind, steigt kontinuierlich und steil an (Anfang 2024 waren es 43.110 Fahrzeuge bzw. 5.506.040 Nutzer:innen).[7] Diese scheinen jedoch stark von einer wachsenden Nutzung in Metropolen getrieben sein, die in unserer Betrachtung hier nicht im Fokus stehen und die andere Bedingungen aufweisen als ländliche Räume. Die überwiegende Mehrheit der kleineren Kommunen verfügt noch nicht über ein Car-Sharing-Angebot.[8] Der Beitrag von Car-Sharing-Initiativen in Richtung einer Verkehrswende scheint bis dato auf dem Land eher gering zu sein, auch wenn die Ideen des Teilens und der E-Mobilität dort nicht weniger innovativ sind als in der Stadt.
Denn anders als es sich Initiator:innen wünschen, die selbst häufig für E-Mobilität „brennen“ und einen ökologischen Beitrag leisten wollen, leiden die von ihnen aufgebauten ländlichen Car-Sharing-Initiativen häufig unter einem Mangel an Nutzer:innen. In der Regel ist es nur ein kleiner Kreis von Personen, der die Leihautos oft oder zumindest regelmäßig nutzt, hinzu kommen weitere sporadische Nutzer:innen, in touristischen Gegenden auch hin und wieder Menschen von außerhalb. Dass aber viele Haushalte aufgrund eines Car-Sharing-Angebots auf ihr eigenes Auto verzichten oder zumindest den Zweitwagen abschaffen, bleibt vorerst ein frommer Wunsch.[9]
Dafür gibt es z. T. gute Gründe. Das Auto ist für Dorfbewohner:innen – wie der Vorsitzende einer Initiative es formuliert – „kritische Infrastruktur“. Sie können bei einem Leihauto nie sicher sein, es genau dann und solange wie benötigt buchen zu können. Wer zur Arbeit in die Stadt pendelt, wie es viele tun, für den eignet sich ein Leihauto aus Kostengründen ebenfalls nicht (und es wäre in der Zeit für andere Nutzer:innen ja auch nicht verfügbar). Dies sind strukturelle Gründe, denen nur durch eine merkliche Verbesserung des ÖPNV mit ausreichenden Taktzeiten und erschwinglichen Beförderungspreisen begegnet werden kann.
Es gibt aber noch eine Reihe weniger guter Gründe, die die Nutzung von Car-Sharing bremsen: Dass man das geteilte Auto nicht direkt vor dem Haus hat, dass im Voraus geplant und eine App genutzt werden muss, dass man einen anderen Wagentyp lieber hätte, sogar hygienische Bedenken werden geäußert, z. T. auch Vorbehalte gegen E-Autos. Mit Überzeugungsarbeit und per Gewöhnung könnten solche Bedenken überwindbar sein. Ein Umstieg auf (E-)Car-Sharing, zumindest für manche Wege, ist für ein Dorf und für jede:n Einzelne:n eine „soziale Innovation“. Das heißt, Verhalten ändert sich, um Probleme anders zu lösen als vorher. Manchmal braucht das Zeit.
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[1] Vorbehaltlich dem Ausbau eines ausreichend schnellen Internetzugangs.
[2] Perspektivisch ist hier keine Besserung in Sicht aufgrund eines Mangels sowohl von kommunalen Geldern, als auch von Fahrer:innen, als auch einer ausreichenden Zahl von Fahrgästen.
[3] Die technisch anspruchsvollere „free-floating“-Lösung, bei der das Auto dort verbleibt, wo es der letzte Nutzer abgestellt hat, wird nur von ganz wenigen, großen Anbietern praktiziert.
[4] Auch konventionelle Hausstromanschlüsse sind möglich, die Ladezeit verlängert sich dadurch allerdings so stark, dass eine wirtschaftliche Nutzung des Autos infrage steht.
[5] „Die Initiative EINHARZ wirkt zusammen mit Stadtwerken, Energieversorgern, Kommunen, Mobilitätsanbietern und regionale Unternehmen.“ (https://sharing.einharz.de/, letzter Zugriff 2024-08-01)
[6] Die Mitwirkung vieler Stakeholder wird z. B. auf der Homepage der Initiative mobine unter „Projektträger und Förderer“ deutlich: „Getragen und unterstützt wird das Neuenwalder Mobilitätskonzept durch das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat, das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, das Bundesinstitut für Bau-, Stadt,- und Raumforschung, den Landkreis Cuxhaven, die Stadt Geestland, die Organisation Mamba Project, Interreg Baltic Sea Region und übergreifend durch die Europäische Union.“ (https://neuenwalde.jimdofree.com/mobine/projekttr%C3%A4ger-und-f%C3%B6rderer/, letzter Zugriff 2024-08-01)
[7] Quelle: Bundesverband CarSharing (2024). Fact sheet „Carsharing in Deutschland“. https://carsharing.de/sites/default/files/uploads/240227_carsharing_statistik.pdf
[8] Zum Zeitpunkt Ende 2022 waren nur 8,5 % der Kommunen mit unter 20.000 Einwohner:innen mit einem Car-Sharing-Angebot versorgt, im Vergleich zu mehr als der Hälfte bei den größeren Kommunen (Quelle siehe Fußnote 7: Bundesverband CarSharing.
[9] Auch die Idee des ehrenamtlichen Fahrdiensts stößt an Grenzen: Auf Seite der Ehrenamtler:innen, aber auch auf Seiten der Nutzer:innen. Es ist nicht immer angenehm, Hilfe anzunehmen. Problematisch daran ist auch, dass Taxiunternehmen diesen Bereich für sich einfordern könnten.
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